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Beschluss des Landesparteitages vom 21. Juni 2014

23.06.2014
A8 - Freihandel mit Augenmaß – Verhandlungen über TTIP aussetzen
Der Bundesparteitag/der Parteikonvent möge beschließen:

Freihandel mit Augenmaß – Verhandlungen über TTIP aussetzen

Die Mitgliedsstaaten der EU haben der Kommission im Sommer 2013 ein Mandat erteilt, um eine transatlantische Freihandelszone (TTIP – Transatlantic Trade and Investment Partnership) zu verhandeln. Das Mandat ist sehr weit gefasst und enthält u. a. Leitlinien zu: Fragen des Marktzugangs, insbesondere Warenhandel, Dienstleistungshandel, öffentliches Beschaffungswesen und Niederlassung, Regulierungsfragen und nichttarifäre Handelshemmnisse, Regeln betreffend geistigen Eigentums, nachhaltige Entwicklung, Zoll und Handelserleichterung, Energie und Rohstoffe, kleine und mittlere Unternehmen und Kapitalverkehr und Zahlungen.

Besonders umstritten sind die geplanten Regelungen zu Investitionsschutz. Dabei ist beabsichtigt, ein Verfahren zur Streitschlichtung zwischen Investoren und Staaten (ISDS) zu installieren, mit einem dreiköpfigen Schiedsgericht, das an den nationalen Justizsystemen vorbei, über gewaltige Ent-schädigungssummen entscheiden kann, wenn z. B. ein Investor seine Pro-fite durch nationale Gesetzesänderungen geschmälert sieht. Ein Anfech-tungsrecht soll nicht gegeben sein. Die Bundesrepublik sieht sich schon einem ähnlichen Verfahren ausgesetzt, der Klage von Vattenfall auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen der Energiewende.

Solche Regelungen schränken die legitimen Handlungsmöglichkeiten von Staaten ein und gefährden die Demokratie. Eine Sondergerichtsbarkeit für Investoren ist nicht zu akzeptieren und darüber hinaus zwischen Demokratien wie der EU und den USA schlicht unnötig. Beide Wirtschaftsräume verfügen über entwickelte Rechtssysteme, die Investoren ausreichend schützen.

Demokratiekonformer Markt statt marktkonforme Demokratie
Wirtschaft und Handel müssen sich den demokratischen Spielregeln unter-werfen. Diesen Grundsatz verteidigt die SPD seit 150 Jahren. Die Idee einer „wirtschaftsgerechten Demokratie“, die von neoliberalen Kreisen im Zusam-menhang mit dem Freihandelsabkommen geäußert wird, gefährdet die in langen politischen Kämpfen erworbenen Grundrechte.

Australien hat in einem bilateralen Handelsabkommen mit den USA dem Verlangen nach einem solchen Mechanismus eine Absage erteilt. Dies sollte als Vorbild dienen.


Die Befürchtung durch Erfahrung mit bisherigen Freihandelsabkommen lau-tet, dass es zu einer Nivellierung von Standards kommt („race to the bottom“). Insbesondere die Erfahrungen mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zeigen, dass es anstatt zu einem Wachstum von Beschäftigung zu massiven Arbeitsplatzverlusten gekommen ist.

Verhandlungsauftrag für TTIP neubestimmen
Viele gesellschaftliche Akteure fordern vor diesem Hintergrund einen Stopp der Verhandlungen. Ihre Sorgen nehmen wir sehr ernst. Der Landesparteitag unterstützt die Forderung des DGB-Bundeskongresses und fordert die bisherigen TTIP-Verhandlungen auszusetzen, alle bisherigen Verhandlungsergebnisse und Protokolle zu veröffentlichen und einen transparenten Verhandlungsauftrag der EU zu bestimmen. Er soll folgende Bedingungen erfüllen:

1. Keine Sondergerichtsbarkeit für Investoren
Ein Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) zwischen Staaten mit zuverlässigen und entwickelten Rechtssystemen wie im Falle von TTIP ist abzulehnen. Gleiches gilt für die CETA-Verhandlungen. Wir erwarten von der Bundesregierung und insbesondere ihren sozialdemokratischen Mitgliedern, dass sie bei ihrer kritischen Haltung zur Aufnahme von Investitionsschutzvorschriften in das TTIP bleibt; das von der EU beschlossene Verhandlungsmoratorium muss dazu genutzt werden, diesen Punkt ganz aus dem Verhandlungsmandat zu streichen. Ein Freihandelsabkommen, das solche Vorschriften oder eine Sondergerichtsbarkeit für Wirtschaftsstreitigkeiten beinhaltet, lehnen wir ab.

2. Rückholbarkeit von Entscheidungen sicherstellen
Die Reversibilität von Entscheidungen ist ein Grundpfeiler jeder Demokratie. Daher fordern wir eine grundlegende Evaluation des Abkommens nach zehn Jahren und eine Klärung, wie Bestimmungen in dem Abkommen zurückgenommen werden können.

3. Transparenz der Verhandlungen
Alle Positionspapiere der Europäischen Kommission sind dem Europäische Parlament (EP) zugänglich und werden zu einem Teil auch ins Internet gestellt. Auf Initiative des EP hat die Europäische Kommission den Dialog im Rahmen der TTIP-Verhandlungen durch eine permanente Beratungsgruppe mit Experten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden institutionalisiert, diese Gruppe hat Zugang zu den Verhandlungsdokumenten. Somit sind Vorwürfe, TTIP sei ein Ge-heimabkommen, in der Totalität nicht zutreffend. Nichtsdestotrotz besteht hier, insbesondere in Bezug auf die Information der breiteren Öffentlichkeit, erheblicher Nachbesserungsbedarf.
Insbesondere müssen vor jeder Verhandlungsrunde die jeweiligen Verhandlungspunkte veröffentlicht werden. Dabei ist sicherzustellen, dass auch Akteurinnen und Akteuren, die nicht Mitglied der ständigen Beratergruppe sind, ausreichend Zeit zur Stellungnahme bleibt. Ebenso ist die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der jeweiligen Verhandlungsrunde zeitnah zu informieren.

In Zwischenschritten müssen die Mitgliedsstaaten und die nationalen Parlamente vollumfänglich informiert werden und Beiräte auf nationaler Ebene die beratende Task Force auf europäischer Ebene spiegeln.
Somit muss die Bundesregierung nun den Dialog im Rahmen der TTIP-Verhandlungen durch eine permanente Beratungsgruppe mit Experten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden institutionalisieren, die auch Zugang zu den Verhandlungsdokumenten erlangen.

4. TTIP und CETA müssen als gemischte Abkommen behandelt werden!
Neben allen Informationsrechten stellt sich dem Europäischen Parla-ment und den Mitgliedstaaten im Endeffekt nur die Wahl zwischen Ablehnung oder Zustimmung zu TTIP im Zuge der völkerrechtlichen und innerstaatlichen Ratifikation. Ungeklärt ist dabei, ob ein so genanntes gemischtes Abkommen, bei dem die Parlamente der Mitgliedsstaaten zustimmen müssen, als Ganzes abgelehnt werden kann oder dies nur die nationalen Zuständigkeiten anbelangt.
Es besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass bestimmte (handelsrechtliche) Vorschriften des Abkommens, welche in die EU-Kompetenz fallen, schon nach der Ratifikation auf EU-Ebene angewendet werden können. Voraussetzung ist, dass eine Klausel über die vorläufige Anwendbarkeit nach Maßgabe von Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention in das Freihandelsabkommen aufgenommen wird.

Die Bundesregierung muss daher darauf hinwirken, dass sowohl CETA als auch TTIP als gemischtes Abkommen und nicht als exklusive Han-delsabkommen abgeschlossen werden. D. h. in Deutschland müssen sowohl Bundestag als auch Bundesrat über die beiden Abkommen abstimmen. Eine angemessene Beteiligung der Länder und zivilgesellschaftlicher Akteure ist dabei sicherzustellen.

Die sozialdemokratischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder in allen europäischen Mitgliedsstaaten werden daher aufgefordert, die EU-Kommission dazu zu verpflichten, dass alle Zwischenergebnisse der Verhandlungen den 35 europäischen Parlamenten, den zu benennenden Verhandlungsbeteiligten (Unternehmen, Verbände und Organisationen) und der interessierten Öffentlichkeit zum gleichen Zeitpunkt zugänglich gemacht werden.


5. Keine Vorfestlegungen durch das Freihandelsabkommen
der EU mit Kanada (CETA)
Die Ergebnisse des bereits ausverhandelten Freihandelsabkommens der EU mit Kanada sind sorgfältig auszuwerten und sobald wie möglich zu veröffentlichen. Die im Rahmen von CETA verhandelten Vereinbarungen dürfen keine präjudizierende Wirkung für die Verhandlungen mit den USA haben.

6. Keine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, keine Absenkung von
Schutzstandards. Erhalt staatlicher Handlungsfähigkeit.
Die in der EU gültigen Regeln des Sozial-, Umwelt-, Natur- und Tier-schutzes, des Verbraucher-, Lebensmittel- und Gesundheitsschutzes müssen gewahrt bleiben und dürfen nicht als „Handelshemmnis“ in Frage gestellt werden.
Jede Seite muss das Recht haben, diese Regeln aus Gründen des Ge-meinwohls auch in Zukunft weiterzuentwickeln. Die vorgesehene „regulatorische Kooperation“ zwischen den Vertragsparteien darf dieses Recht nicht beschneiden, sondern allein eine gemeinsame Weiterentwicklung von Standards erleichtern.
So sollten schon die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen dazu genutzt werden, eine wirksame Umsetzung der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) durch beide Vertragsparteien zu erreichen.
Die Unterschiede im Agrar- und Lebensmittelbereich zwischen den USA und der EU müssen besonders berücksichtigt werden; es darf nicht zu einem zusätzlichen Druck der Agrarindustrie auf die bäuerlichen Strukturen in Europa kommen.

Insbesondere dürfen folgende Punkte nicht verhandelbar sein.
- die Sicherung von Arbeitnehmerrechten und der Verbraucher-schutz,
- der Arbeitsschutz und die Datenschutzstandards,
- gesundheits- und umweltpolitische Standards,
- die für die Landwirtschaft festgelegten Standards einschließlich der Subventionspraktiken sowie
- alle die Kulturpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU betreffende Standards.
- Die Entscheidung darüber welche Dienstleistungen öffentlich er-bracht werden. 

7. Finanzmärkte und Vermögensbesteuerung
Im Handelsraum EU/USA konzentrieren sich große Geldvermögen und Finanzaktivitäten. Deshalb wollen wir mit einem Handelsabkommen auch Fortschritte zu einer verbindlichen Finanzmarktregulierung mit einer Abtrennung von Investmentgeschäften sowie einer Finanztransaktionssteuer erreichen. Hierzu gehört ein automatischer Informationsaustausch über Finanztransaktionen sowie eine Vereinheitlichung der Kapital- und Vermögensbesteuerung.
8. Keine schrankenlose Liberalisierung! - Spielräume erhalten
Der Ansatz der Negativliste zur Liberalisierung von Dienstleistungssektoren ist, dass alles was nicht dort aufgenommen wurde, liberalisiert werden kann. Im CETA gibt es momentan eine Negativliste. Im TTIP hat die europäische Kommission dem Ansinnen der Amerikaner für einen Negativlistenansatz bereits nachgegeben. Eine Positivliste hätte den Vorteil, dass man zunächst einige Bereiche öffnen und später mit anderen nachziehen könnte. So behielte man die Hoheit über eine Öffnung in den Märkten, die heute noch nicht vollständig entwickelt seien, beispielsweise im Bereich der E-Dienstleistungen.
Im Sinne einer entsprechenden Entwicklungsoffenheit des Abkom-mens muss von einer Positivliste ausgegangen werden. Eine Negativliste, die nicht mehr ergänzt werden kann, ist unter allen Umständen abzulehnen.

Darüber hinaus ist im Zuge der Verhandlungen die Gefahr wirtschaftlicher Strukturkrisen einzelner Regionen, die durch die gegenseitige Marktöffnung entstehen können, zu analysieren. Für betreffende Wirtschaftszweige sind Übergangsregelungen zu vereinbaren.

Wenn sich abzeichnen sollte, dass die existenziellen Forderungen dieses Antrages keine Berücksichtigung finden, wird der Landesparteitag über die Empfehlung eines Abbruchs der Verhandlungen neu beraten.