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Beschluss des SPD-Landesvorstandes vom 24. Juni 2016

24.06.2016
Chancengerechtigkeit und Armutsprävention in Bremen und Bremerhaven
1. Soziale Ungleichheit, verfestigte Armut und die Frage nach der Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit

Die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht, die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet. Trotz eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit hat die Armutsgefährdung zugenommen. Zwar erfasst die amtliche Statistik seit dem Wegfall der Vermögenssteuer in Deutschland die Vermögen und den Reichtum nicht mehr. Neuere Studien zeigen aber, dass die Vermögensbesitzenden immer mehr Reichtum bei sich konzentrieren können und der Staat und die arbeitenden Menschen demgegenüber „ärmer" werden. Gleichzeitig sind die Bildungschancen der Kinder in Deutschland und in Bremen immer noch zu sehr vom sozialen Status der Eltern abhängig. Sozialleistungen aus der Renten- und Arbeitslosenversicherung wurden gekürzt. Der Sozialstaat verfügt heute in Deutschland nicht ausreichend über die notwendige soziale Infrastruktur und die Mittel, um z. B. den Eltern mit Kindern, Alleinerziehenden, gering Qualifizierten, Migrantinnen und Migranten, Langzeitarbeitslosen, älteren und pflegebedürftigen Menschen gleiche Lebenschancen bieten zu können.

Dabei ist auch das grundgesetzliche Ziel der Verwirklichung gleicher Lebenschancen in allen Teilen Deutschlands zunehmend aus dem Blick geraten. So gibt es heute erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, einzelnen Regionen und den Großstädten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und infrastrukturellen Entwicklung. In den Großstädten entwickeln sich zudem die Stadt- und Ortsteile unterschiedlich. Die damit einhergehende sozialräumliche Polarisierung führt zu unterschiedlichen Lebenschancen, die durch eine soziale Stadtpolitik ausgeglichen werden müssen.

Bremen und Bremerhaven verfügen zwar in weiten Teilen über eine auf internationalen Märkten konkurrenzfähige Wirtschaft und sind auch heute noch ein lebens- und liebenswertes, mittlerweile wieder wachsendes Bundesland. Bremen muss jedoch trotz seiner Haushaltsnotlage wegen des hohen Anteils prekärer Beschäftigung, der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit und verfestigten Armut auf massive eigene, gut koordinierte Anstrengungen zur Armutsprävention, zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur und für mehr Chancengerechtigkeit setzen. Diese soziale Städtepolitik braucht aber, nicht erst jetzt, sondern seit der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen umso mehr, die aktive Unterstützung des Bundes und der anderen Bundesländer sowie der Europäischen Union (EU).
2. Soziale Stadtpolitik in Bremen und Bremerhaven: Initiativen für mehr Chancengerechtigkeit und Armutsprävention

Die soziale Stadtpolitik beruht darauf, dass unterschiedliche Politikpfade durch den Bremer Senat im Sinne eines politischen Lernprozesses und einer integrativen Steuerung miteinander koordiniert werden und die für den Erfolg notwendige soziale Infrastruktur Schritt für Schritt geschaffen wird. Eine Schwerpunktsetzung in Quartieren und Ortsteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf soll der sozialen Spaltung entgegenwirken und mehr soziale Gerechtigkeit und Teilhabe ermöglichen. Hierbei sollen die verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen Bremens und Bremerhavens berücksichtigt werden.

Der Landesvorstand fordert daher die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und die SPD-Bürgerschaftsfraktion auf:

Für die Armutsprävention und Armutsbekämpfung bedarf es einer noch deutlicheren Schwerpunktsetzung in den sozial benachteiligten Gebieten, um die bereits heute sehr große Integrationsleistung (die angesichts der Zuwanderung von Flüchtlingen noch zunehmen wird) dieser Gebiete stärker zu unterstützen.

Kinderbetreuung/Bildung
- Die Schulen und Kindertagesstätten dieser Stadtteile sind regelhaft quantitativ und qualitativ der sozialen Problemlage entsprechend auszustatten.

- Mehr frühkindliche Bildung vor allem für Kinder mit Migrationshinter-grund. Wichtig sind dabei mehrsprachige Informationen zum Anmeldeverfahren in Krippen und Kitas sowie die Beratung der Eltern durch aufsuchende Elternarbeit, um über die Bedeutung für die soziale Entwicklung von Kindern in Krippen und Kitas zu informieren.

- Auf den Zuzug von Zuwanderinnen und Zuwanderern mit Kindern in Wohnungen muss besonders der Fokus gelegt werden. Ein schneller, unbürokratischer und unterjähriger Einstieg in Kinderbetreuungseinrichtungen und in Schulen ist der Grundstein für eine schnelle Integration.

- In den Kinderbetreuungseinrichtungen sollen Sprach- und Kulturlotsen verstärkt auch für die Elternarbeit eingesetzt werden.

- Mehr Plätze im Krippen-und Elementarbereich sind wohnortnah im Sinne der aufholenden Entwicklung einzurichten. Dabei sind auch Betreuungszeiten einzubeziehen.

- Mehr Sprachförderung in Kita, Grundschule und Oberschule. Vorhandene Ressourcen sind da einzusetzen wo ein großer Bedarf besteht. Die Ortsteile mit schlechten Ergebnissen bei den Cito-Sprachstandstests sind gezielt zu fördern. Ein durchgängiges und aufeinander abgestimmtes Sprachförderkonzept auf dem gesamten Bildungsweg ist umzusetzen.

- Alle Grundschulen müssen nach und nach zu Ganztagsschulen umgewandelt werden, Ganztagsangebote sollen an den Oberschulen bis zur 8. Jahrgangsstufe finanziert werden.

- Mehr Sozialpädagog/innen an den Schulen.

- Mehr Sozialstrukturstunden in Schulen und Kitas.

- In den Grund- und Oberschulen ist die Obergrenze der Klassenfrequenzen einzuhalten; in den Krippen und Kitas darf die vorgegebene Gruppenstärke nicht überschritten werden.

- Ausweitung der Vorkursstunden an Grundschulen, sofern eine weitere individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern nötig ist (zurzeit oft nur 20 Stunden/Woche für ein halbes Jahr).

- Kapazitäten unserer Schulen und weiterführenden Schulen wie Berufsschulen sind zu erweitern.
Öffentliche Beschäftigungsförderung für Langzeitarbeitslose
Verstärkte öffentliche Beschäftigungsförderung für Langzeitarbeitslose (Sozialer Arbeitsmarkt) und Überprüfung des Wettbewerbsverbots der Beschäftigungsträger für soziale Vorhaben, mehr Plätze in den Gebieten der benachteiligten Ortsteile; das Ziel besteht darin, möglichst viele Langzeitarbeitslose aus dem Stadt-bzw. Ortsteil in Gemeinwesen orientierten Einrichtungen zu beschäftigen.

Jugendberufsagenturen/Ausbildungsgarantie
Dezentrale Beratung vor Ort in den Stadtteilen durch die Jugendberufsagentur, um Jugendlichen die einen Ausbildungsplatz bzw. eine Perspektive nach der Schulzeit suchen, zu unterstützen. Die Begleitung, Beratung und Hilfestellung beim Übergang Schule und Beruf für Jugendliche aus benachteiligten Familien ist nötig und deshalb auszubauen.

Stadtteilbezogene Finanzierung
- Mehr Globalmittel sowie Fördermittel wie z. B. „Wohnen in Nachbarschaften"(WiN), Soziale Stadt und „lokales Kapital für soziale Zwecke" (LOS). Der Zuzug von Zuwanderern in einzelne Ortsteile ist dabei zu berücksichtigen. Wir wenden uns gegen Kürzungsbestrebungen und fordern angesichts veränderter Rahmenbedingungen eine Erhöhung der WiN-Mittel.

- Verstetigung der Dauerprogramme wie bspw. VAJA.

- Mehr Mittel für die Jugendarbeit. Erhöhung um 10 Prozent, danach Anpassung an die Lebenshaltungskosten.

- Der Ausbau der aufsuchenden Altenarbeit ist gerade in den Stadt- und Ortsteilen wichtig, wo die Altersarmut heute schon besteht bzw. noch ansteigen wird. Vorhandene, gut angenommene Treffpunkte älterer Menschen sind zu sichern.

- Weiterer Ausbau der ambulanten Unterstützung von Flüchtlingsfamilien in Wohnungen der betreffenden Stadt- und Ortsteile. Nötig ist u. a. die Finanzierung einer Kontakt- und Koordinierungsstelle für die Beratung von Ehrenamtlichen, die sich im Stadtteil für Flüchtlinge und Zuwanderer engagieren wollen.

- Ausbau von präventiven gesundheitsfördernden Angeboten in den Stadt- und Ortsteilen, um die festgestellten schlechten Gesundheitsdaten zu verbessern.

- Absicherung von Personal-,Betriebs- und Unterhaltungskosten der Familien­ und Quartierszentren.

Wohnungspolitik
- Bremen und Bremerhaven brauchen daher bezahlbaren Wohnraum und einen geförderten Wohnungsbau für untere Einkommensschichten in al-len Stadtteilen. Das Wohnungsbauprogramm des Senats ist zu erweitern, das Wohnungsangebot muss dabei besonders auch auf die Bedarfe von Senioren, Studierenden, Flüchtling Wohnungslose eingehen. In Bremerhaven muss zusätzlich Herausforderungen, wie Leerständen, durch Stadtumbauprojekten begegnet werden.

Flüchtlingspolitik
- Zuwanderung aus der EU und durch Flüchtlinge erfolgt vor allem in die Gebiete mit preiswertem Wohnraum. Diese Gebiete müssen daher aus dem Sonderprogramm Flüchtlinge des Senats besonders bei ihrer Integra-tionsaufgabe unterstützt werden. Das sind vor allem WiN-Gebiete, die mit zusätzlichen Personal- und Sachmitteln zur Beratung und Betreuung der neuen Mitbürger/innen und zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements ausgestattet werden.
3. Bundespolitische Initiativen für eine wirksame Armutsprävention und mehr Chancengerechtigkeit

Bremen allein wird Armut nicht erfolgreich bekämpfen können. Dazu bedarf es übergreifendes Handeln von Bund und Ländern. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats werden daher aufgefordert sich weiterhin für bundespolitische Initiativen einzusetzen oder diese zu ergreifen, die Chancengerechtigkeit und Armutsprävention unterstützen.

- Wer Einkommensarmut abbauen will, muss die unteren Einkommen erhöhen, indem der Niedriglohnsektor bekämpft wird und Minijobs durch reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Die Bremer SPD setzt sich daher für eine Erweiterung der Tarifbindung und eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein. Außerdem fordert sie einen ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn und die deutliche Verringerung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse.

- Wer keine Arbeit hat oder nicht mehr arbeiten kann, muss angemessen am Wohlstand in unserer Gesellschaft beteiligt werden. Deshalb fordert die Bremer SPD die Anhebung der Regelsätze nach dem SGB II (Hartz IV) und dem SGB XII (Grundsicherung) um 15 Prozent.

- Wer die Schere zwischen Arm und Reich schließen will, darf auch hohe Einkommen und Vermögen nicht aus dem Blick verlieren. Wir sind für die Erhöhung der Besteuerung hoher Einkommen von über 100.000 Euro pro Jahr und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer für hohe Vermögen.

- Kinder sollen kein „Armutsrisiko“ sein. Die Bremer SPD ist daher für eine bundesfinanzierte Kindergrundsicherung, die sich aus einem für untere Einkommensgruppen erhöhten Kindergeld entwickeln sollte.

- Bremen hat besonders niedrige Altersrenten. Altersarmut droht. Die Bremer SPD setzt sich daher für eine existenzsichernde gesetzliche Rente ein. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Wiedereinführung der Rente nach Mindesteinkommen und ein Stopp der gesetzlich vorgesehenen weiteren Absenkung des Rentenniveaus. Richtig wäre vielmehr eine schrittweise Erhöhung des Rentenniveaus. Perspektivisch sollte die Förderung privater Altersabsicherung mit Steuermitteln (z. B. Riester- und Rürup-Renten) beendet und stattdessen die gesetzliche Rentenversicherung in entsprechender Höhe weiter gestärkt werden.