Koalitionsvertrag: Eine Bewertung mit Bremer Brille

Liebe Genossinnen und Genossen,
in dieser Woche haben die Parteispitzen von SPD und Union die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen und einen Koalitionsvertrag vorgelegt. In der SPD kann jetzt, anders als bei CDU und CSU, in der Breite der Mitgliedschaft diskutiert und am Ende auch abgestimmt werden. Wir alle sind deshalb jetzt in der Verantwortung zu entscheiden. Aus diesem Anlass möchte ich als Landesvorsitzender meine Bewertung des Vertrages aus Bremer Sicht mit euch teilen.
Soziale Gerechtigkeit: Die SPD macht den Unterschied
Der Landesvorstand der Bremer SPD hatte zu Beginn der Verhandlungen einen Beschluss mit Forderungen an eine neue Koalition gefasst. Zahlreiche Punkte des Beschlusses sind jetzt auch im Koalitionsvertrag enthalten. So kommt neben dem höheren Mindestlohn auch ein Bundestariftreuegesetz und das Rentenniveau wird bis 2031 festgeschrieben.
Beim Bürgergeld – zukünftig wohl zumindest unter einem anderen Namen – bleibt noch abzuwarten, wie sich die Veränderungen inhaltlich ausprägen. Im Wesentlichen scheint mir hier von den lauten Tönen des CDU-Wahlkampfes nicht viel übrig geblieben zu sein. Das gilt auch für das Kapitel Steuern, wo wir gerne ein gerechteres Steuerkonzept erreicht hätten, mit dem wir Vermögen und Erbschaften stärker in die Pflicht nehmen. Ein solches Konzept war aber absehbar mit der Union und diesem Wahlergebnis nicht zu machen – dafür müssen wir in vier Jahren für einen linkeren Bundestag kämpfen. Nach dem Vertrag wird das Steuersystem Mitte der Legislatur erneut mit dem Ziel verhandelt, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Wichtige Botschaft für mich an dieser Stelle: Der Solidaritätszuschlag für hohe Einkommen bleibt – Steuergeschenke für Gutverdiener haben wir verhindert.
Beim Thema Geld muss auch ein kurzer Blick auf das Sondervermögen für Investitionen geworfen werden, welches bereits im Bundestag verabschiedet wurde – im Koalitionsvertrag wird dieses Geld nun verteilt – und ein Teil davon wird selbstverständlich auch nach Bremen fließen. Mir ist wichtig, dass auch eine grundsätzliche Modernisierung der Schuldenbremse im Koalitionsvertrag festgehalten wurde.
Was gut und wichtig für Bremen und Bremerhaven ist
Mit einer Bremer Brille auf den Koalitionsvertrag geblickt, lassen sich einige gute Punkte für unser Bundesland ausmachen. Insbesondere in der Wirtschafts- und Industriepolitik hat der Vertrag einiges für Bremen zu bieten: Die Häfen sollen eine gesamtstaatliche Aufgabe werden, was Bremen spürbar entlasten wird. Die wichtigen Industriezweige der Stahlherstellung, des Automobilbaus oder der Luft- und Raumfahrt werden gesichert und werden von guten Rahmenbedingungen und stabilen Energiepreisen profitieren. Außerdem werden die Werften beim Einstieg in den Konverterbau für die Umwandlung von Off-Shore-Windenergie zu Wasserstoff unterstützt.
In Städten mit angespannten Wohnlagen soll auch in Zukunft die Mietpreisbremse greifen – eine gute Nachricht, insbesondere für die Menschen in der Stadt Bremen, die für weitere vier Jahre vor übermäßig steigenden Mieten geschützt werden. Außerdem profitieren hier besonders viele Menschen von einem steigenden Mindestlohn oder einem höheren Bafög.
Ein Kapitel, das schmerzt: Migration
Sicherlich am weitesten auseinander lagen unsere Parteien in der Frage der Migrationspolitik. Und dieses Kapitel schmerzt auch mich am meisten, weil ich mich darum sorge, wie es sich für Menschen mit eigener Migrationsgeschichte anfühlen muss, wenn der gesellschaftliche Geist sich derart auf die Abwehr von Migration fokussiert und die Arbeits- und Lebensleistung von Menschen mit Migrationsgeschichte nicht mehr gewürdigt wird. Es muss auch in Zukunft völlig klar sein: Wer hier lebt, hier arbeitet und einen Beitrag zur Gesellschaft leistet, der gehört zu Deutschland dazu. Hier hätte ich mir mehr Deutlichkeit in einem Koalitionsvertrag gewünscht.
Gerade deshalb werden wir vom Land Bremen aus die angekündigten Verbesserungen bei Integration in Arbeit, Spracherwerb und Anerkennung von Qualifikationen konkret einfordern. Und gerade deshalb ist es auch ein wichtiges Signal, dass das Zweiklassensystem beim Staatsbürgerrecht, welches in den Sondierungen noch den möglichen Entzug der Deutschen Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatlern vorgesehen hatte, jetzt im Koalitionsvertrag nicht mehr enthalten ist. Hier hat das SPD-Team in den Verhandlungen auf die deutlichen Rückmeldungen aus der Basis gehört und erreicht, dass CDU und CSU diese unsägliche Forderung nicht weiter aufrechterhielten. Dieser Schritt war in den Verhandlungen sicher nicht leicht zu erreichen und unserem Verhandlungsteam gilt dafür mein ausdrücklicher Dank.
Fazit
Am Ende muss jede und jeder selbst zu einer Bewertung des vorgelegten Vertrages kommen, schließlich ist die SPD eine Mitgliederpartei.
Ich komme für mich persönlich, aber auch als Landesvorsitzender zum Ergebnis, dass man dem Koalitionsvertrag unterm Strich zustimmen kann – weil man im Koalitionsvertrag merkt, dass die SPD an vielen Stellen der Sozialen Gerechtigkeit den Unterschied macht, weil er gut für Bremen und Bremerhaven ist, und nicht zuletzt, weil das Wahlergebnis ist, wie es ist und keine Alternative für eine stabile, demokratische Regierung in Sicht ist.
Ganz klar ist, dass wir als Sozialdemokratie nicht alles erreicht haben, was wir gerne in einer Regierung umsetzen würden, schließlich ist ein Koalitionsvertrag auch kein Wahlprogramm. Deshalb gilt es ab sofort umzuschalten und in einer künftigen Koalition und in unser Arbeit die Weichen dafür zu stellen, dass wir in vier Jahren wieder eine erfolgreiche SPD sehen, mit einem sozialdemokratischen Kanzler oder einer sozialdemokratischen Kanzlerin und einem Regierungsprogramm, das noch deutlicher die Handschrift der SPD trägt.
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